freiheit hier, freiheitsstrafe dort: Charlie Petersmann im gespräch mit „18:18“
Charlie Petersmann. Ein Filmstudent aus Berlin erzählt über seinen Film „Cantos“, den er auf der Duisburger Filmwoche zeigte. Außerdem spricht er über seine verschiedenen Ansichten des Dokumentarfilms und seine Erfahrungen als reisender Filmemacher auf Kuba.
Isa: Hallo Hallo!! Schön, dass Du hier bist. Stell dich doch am besten erstmal vor.
Charlie: Ich heiße Charlie Petersmann, ich habe auf der Duisburger Filmwoche den Film „Cantos“ gezeigt.
I: Wie bist du zum Film gekommen?
C: Anfangs habe ich Fotografie gemacht. Ich war ziemlich jung als ich schon von Filmen fasziniert war. Dann habe ich ein halbes Jahr an der Kunsthochschule in Genf studiert, mehr so Filmtheorie, da hab ich die Filmgeschichte entdeckt. Dann habe ich in Berlin Film studiert.
I: Siehst du dich eher als Dokumentarfilmer? Was definiert einen Dokumentarfilm im eigentlichen Sinne?
C: Ich sehe persönlich, das Filmemachen wie Filmemachen. Aus meiner Betrachtung ist der Grad zwischen Dokumentarfilm und Fiktion sehr schmal. Ich finde, man filmt immer Leute, denen das bewusst ist und ab dem Moment ist es immer eine fiktionale Ebene. Mich interessiert es auch, Filme teilweise zu inszenieren. Man bleibt auf der Seite des realen Leben und der reale Menschen, aber ich behaupte nicht, das reale Leben zu zeigen, sondern es interessiert mich auch viel mehr, Sachen zu simulieren oder Situationen, Einflüsse wahrzunehmen und ab dem Moment ist man auch schon in der Fiktion. Die Filmemacher, die mich am meisten interessieren, sind oft welche, wo die Spielfilme sehr stark vom dokumentarischen beeinflusst sind oder andersrum. Meine Generation ist ganz stark von Leuten, die mit wenig Geld ganz große Filme machen, beeinflusst. Zum Beispiel entstehen durch das Digitale, ganz andere Freiheiten für Menschen, die weniger Geld haben, Filme zu machen. Das ist eine ganz neue Welle an Möglichkeiten, welche sehr interessant ist. Ich glaube, diese harte Grenze ist immer mehr dabei sich aufzulösen, mich interessiert am meisten, was dazwischen ist.
I: Heute morgen in der Podiumsdiskussion saß eine Frau neben mir, die meinte: „Immer diese junge Leute die aus dem Nichts kommen und versuchen mit irgendeiner Kamera einen Film zu machen.“
C: Ich glaube, das ist eine Haltung, die auch interessant ist. Genau in unserer Generation gehört das Filmemachen nicht nur denen, die „groß“ sind. Letzte Woche habe ich eine Film gesehen von Lav Diaz, ein philippinischer Filmemacher, der Film lief in Cannes, der auch in Sao Paulo lief. Der Typ macht Filme mit wirklich nichts, er macht 4-Stunden-Filme, was eigentlich keiner sehen will, aber es sind Meisterwerke, ganz geniale Filme und genau diese Leute finde ich ganz interessant. Die sich selbst, als Nichts betrachten und einfach sagen, hier ich mache mein Ding und wenn es so ältere Frauen stört, dann sollen sie sich was anderes angucken.
I: Hast du eine besondere Vorgehensweise, wie du an ein Projekt rangehst, ist das immer stetig gleich oder gibst du dich den neuen Situationen hin?
C: Ich kann jetzt leider auch nicht so sprechen als hätte ich eine riesige Erfahrung, das ist mein erster Langfilm, ich habe davor mehr Kurzfilme gedreht und diese eher in die Richtung Fiktional. Aber ich glaube, letztendlich ist es immer das gleiche. In diesem Fall war das Interessante für mich, dass es eine Welt war, die ich nicht unbedingt kannte. Die Idee war es auch einen fremden Blick zu haben und dem auch nachzugehen. Ich wollte jetzt nicht so tun, als wären wir alle Kumpels und ich wäre Kubaner. Erstmal habe ich versucht meinen eigenen Blick zu finden und diesen auch mit in den Prozess einzuarbeiten. Das interessiert mich eigentlich am meisten und diese Richtung möchte ich jetzt weitergehen.
I: Wie lange hast du gebraucht, um die Menschen näher kennenzulernen? Sodass sie dir vertrauen und sich auf den Film einlassen?
C: Ich war insgesamt 4 Monate in Kuba unterwegs. Ich habe eine Monat vor Ort recherchiert und während der Zeit die Protagonisten kennengelernt und dann ging´s eigentlich relativ schnell. Bei der Familie vom Land hat es etwas länger gedauert, sie leben sehr zurückgezogen, aber wie so oft im Dokumentarfilm, sobald man anfängt zu filmen, kommt es ziemlich schnell von alleine.
I: Wie bist du mit den Leuten, die du portraitiert hast, umgegangen?
C: Am Anfang war es sehr frustrierend, aber das hat sich dann durch die Zeit ergeben. Es war für mich sehr beeindruckend, was man für tolle Gespräche führen kann, solange die Fenster zu sind. Was da dann eine Kamera ausmacht, die Kamera ist eine Gefahr für sie, nicht für mich. Das hat ein bisschen Zeit gebraucht. Man versteht auch, dass das Risiko für die Einwohner sehr hoch ist. Wenn man erwischt wird, wird man als Europäer zum Flughafen gebracht und zurückgeschickt, aber die Einwohner werden verhaftet. Für mich war es auch wichtig, sie nicht zu irgendwas zu bringen, was sie nicht machen wollen. Man verkörpert in solchen Länder, ob man will oder nicht, den Europäer, der Geld hat. Jeder, der ein bisschen reist, erlebt das, was wir ein Glück haben, dass wir das einfach reisen können und wieviele Menschen davon träumen.
I: Es gibt diese eine Szene, wo die Mutter ihre Tochter morgens weckt. Das Mädchen achtet gar nicht auf die Kamera. Wie entsteht sowas?
C: Das war zum Beispiel eine von den Szenen, wo ich wusste, ich wollte eine Szene filmen, wo sie ihre Tochter weckt. Ich habe nur 4 Tage mit der Frau und der Tochter gedreht und jeden Morgen hat sie auf mich gewartet, bis sie ihre Tochter weckte. Die ersten 3 Tage hat es nicht funktioniert, aber dann hat die Tochter verstanden, worum es geht und am letzten Tag hat es dann geklappt. Sie blickt ganz kurz in die Kamera, wenn man genau hinschaut, merkt man es, aber sie hat sofort von alleine weitergemacht und das sind so Momente die einem Geschenk werden. Man nimmt halt mit, was gerade passiert. Ich habe nicht so nach dem direkten Kontakt gesucht, zwischen vor und hinter der Kamera. Ich wollte dieses „Talking Heads“ vermeiden, aber dann passieren manchmal diese Momente, wo die Leute mit einem sprechen. Aber dann darf man nicht abbrechen.
I: Denkst du darüber nach eine Fortsetzung von dem Film zu machen, mit den selben Leuten?
C: Nee, ich habe jetzt ein neues Projekt. Der Film wird in die selbe Richtung gehen, er soll verschiedene Menschen portraitieren, aber diesmal in drei verschiedenen Ländern.
Aber ich würde gerne mal wieder hin nach Kuba, die Menschen einfach besuchen.
I: In dem Heft von der Duisburger Filmwoche steht, dass du keine Film machen wolltest, wo du das Regime in Kuba in Frage stellst. War die Intention wirklich nicht da, oder wie war das?
C: Also nein, es war nicht da. Aber wenn man so einen Film in diesem Rahmen macht, stellt man sich natürlich die Frage und einen eigenen Blickpunkt auf die Sache hat man schon. Also es gab nicht -keine politische Intension-, sondern die politische Dimension sollte nicht das Thema des Filmes werden, also das was mich jetzt am meisten interessierte, sondern mehr wie die Menschen in so einem Rahmen überleben. Thematisch betrachtet ein Film über das Überleben, die Auswahl der Protagonisten, welche mehr die Verlierer eines solchen Systems sind. Es gibt auch auf Kuba Leute, denen es sehr gut geht. Aber es war nicht die Idee einen Film über das Regime zu machen, sondern über den einfachen Alltag der Leute und das reale Leben.
I: Zur Zeit wird sehr viel über Kuba geredet, vor allem die wirtschaftlichen Faktoren, was Tourismus angeht, mit der Anbindung zu Amerika, das langsam die Grenzen frei werden … Kommt das bei den Leuten auf Kuba an, verstehen die gerade diesen Wandel vom Kommunismus zum Kapitalismus? Begreifen die Menschen das oder war es zu sehen?
C: Also dieser offizielle Wandel, der ist passiert nachdem ich zurück gekommen bin, aber ein Wandel ist es auf keinen Fall, auch offiziell vor Ort nicht, das ist eine ökonomische Öffnung, der Staat ist total pleite, der monatliche Durchschnittslohn beträgt 12 Dollar im Monat. Sie dürfen kein weiteres Geld verdienen, die Lage ist katastrophal. Es muss eine ökonomische Änderung geben. Die Leute vor Ort sind sich sehr sehr bewusst darüber, obwohl sie sehr begrenzt sind durch die Informationen, die sie erhalten. Es gibt eine einzige Zeitung, es gibt kein Internet, wenn man immer nur die Betrachtung aus einer Version kennt, dann ist man sehr begrenzt. Die Leute warten auf eine Änderung, das ist zu spüren vor Ort. Wann was kommt, weiß man nicht. Aber ich glaube, dass was jetzt passiert, ist immer noch eine Inszenierung, die versuchen ein Image zu exportieren vom Wandel, ich mag das Wort Diktatur nicht unbedingt, aber irgendwie bleibt es so.
I: Wie war dein Gefühl, als du wieder in Deutschland gelandet bist?
C: Nach Kuba war ich sehr froh wieder hier zu sein. Die Lage ist dort gerade sehr kaputt. Die jungen Leute sind so perspektivlos, alle warten, dass sich endlich irgendwas, irgendwann verändert und dann hat man diese Stimmung, dass man manchmal richtig down ist, wenn man dort längere Zeit verbringt. Und am Ende des Drehs war ich wirklich an dem Punkt, wo ich nur noch davon träumte, nach Hause zu fliegen. Erstmal hatte man den Druck, mit allem, Speicherplatten und alles ins Flugzeug zu kommen und dann war es schon ne Erlösung, als man wieder hier war.
I: Ok, Vielen Dank, ich glaub das wars!